Frida
Eine kleine, eher unscheinbare Notiz in der Tageszeitung einige Tage vor Weihnachten hatte zwei Mitglieder unseres Vereins aufmerksam werden lassen: der Hilferuf eines Gnadenhofs im Wartburgkreis (Thüringen). Obwohl dieser ganz in ihrer Nähe liegt, hatten die beiden bis zu diesem Zeitpunkt noch nie von ihm gehört. Noch am gleichen Tag fuhren sie los, um sich vor Ort ein Bild zu machen und Näheres zu erfahren.
Am 19.12.09 erreichten uns die ersten, erschreckenden Fotos. Obwohl sie – wie wir später selbst feststellen konnten – nur einen winzigen Bruchteil der Verhältnisse vor Ort zeigten, waren wir erschüttert. In einer ehemaligen Grenzkaserne und dem dazugehörigen Gelände, so unsere zunächst dürftigen Informationen, leben etwa 100 Hunde unter katastrophalen Bedingungen. Auf dem Gelände gibt es keinen Strom und keine Heizung. Wasser wird normalerweise mit einer Pumpe in das Gebäude gebracht. Diese war jedoch vor Weihnachten kaputt gegangen, die verbliebenen Wasserbehälter ob des Kälteeinbruchs gefroren. Es mangelt an allem, was notwendig ist: Baumaterial, Futter, Geld für Medikamente, für Kastrationen, für eine tierärztliche Versorgung oder für Reparaturen.
Einige Hunde auf den Fotos sahen aus wie Retriever oder Retrievermixe. Uns stockte der Atem, die Gedanken fingen an sich zu drehen. Können wir so kurz vor Weihnachten noch irgendetwas tun? Können wir Hilfe anbieten, wie können wir überhaupt helfen? Besteht irgendeine Chance, dass wir wenigstens 1,2 oder 3 Hunde rausholen – haben wir denn noch Pflegestellen frei? Fragen über Fragen, die zwischen Vorstand und Team hin und her gewälzt wurden. Viel Zeit, sie zu beantworten blieb nicht – war aber auch nicht nötig. Innerhalb einer Stunde war klar: Die Weihnachtsvorbereitungen des Vorstands und der Teamler werden notgedrungen warten müssen. Für uns alle war unvorstellbar, jetzt noch an Weihnachten zu denken, wenn wir nicht wenigstens vorher versuchen würden, alles in Bewegung zu setzen, um zumindest einigen dieser Hunde zu helfen.
Mit den wenigen Bildern, die wir hatten, starteten wir am 20. Dezember im Forum die Notfallvorschau. Was dann binnen zweier Tage geschah, grenzte an ein Wunder: Pflegekörbchen wurden aufgestellt, Notpflegestellen meldeten sich, Spendenzusagen und Fahrkettenangebote gingen ein. Am 23. Dezember war es soweit: Unsere erste Vorsitzende und zwei Teamler machten sich auf den Weg – im Gepäck neben einer Futterspende eine Liste mit potentiellen Pflegestellen. Wir fuhren ins Ungewisse, aber wir fuhren. Nach wie vor war unklar, welche Hunde dort auf uns warten, in welchem physischen wie psychischen Zustand sie sein werden, ob wir sie überhaupt werden mitnehmen können. Nach mehreren Stunden Anfahrt betraten wir gemeinsam mit unseren beiden Vereinsmitgliedern vor Ort das Gelände. Uns bot sich ein Bild des Schreckens...
Auf dem Gnadenhof „leben“, neben den etwa 100 Hunde, einige Pferde und Ponys, Ziegen und Katzen – und dies unter katastrophalen Bedingungen. Zwei Etagen der alten Grenzkaserne sind der „Hauptlebensraum“ der Hunde. In Rudeln „bewohnen“ sie deren Zimmer und Gänge. Die Fenster des Gebäudes sind zum Teil eingeschlagen und wurden mit Brettern vernagelt, um ihnen wenigstens einen minimalen Schutz vor der Kälte zu geben. Dennoch pfeift der Winde „durch alle Löcher“. Zudem sind die Hunde dadurch gezwungen, ihr Leben die meiste Zeit im Halbdunklen zu fristen. Nach hinten hinaus wurden Stege aus den Fenstern gebaut, damit sie ins Freie können. Kleine Freigehege schließen sich an, andere befinden sich auf weiteren Geländeteilen. Sie sind mit alten Paletten, gestückelten Drahtzäunen und halb verrotteten Brettern abgeteilt, viele ohne ausreichendem Unterschlupf, der Boden unbefestigt, reiner Schlamm. Dazwischen unzählige Knochenreste von den Schlachtabfällen, mit denen die Hunde gefüttert werden – Spenden, die 2x die Woche von Schlachtern aus der Gegend abgeholt werden.
Da standen wir: Sprachlos, mit unseren Emotionen kämpfend, unfähig, die auf uns einstürzenden Eindrücke auch nur annähernd fassen zu können. In der Hand hielten wir unsere Liste potentieller Pflegestellen. Binnen Minuten wurde uns klar: Vor uns liegt eine schwere Aufgabe – die, zu entscheiden, wer mit uns fahren darf und wer bleiben muss. Langsam gingen wir von Freigehege zu Freigehege, beobachteten die Reaktionen und das Verhalten der Hunde so gut es ging, verglichen das Gesehene mit den möglichen Pflegestellen, wägten ab, ob es „passen“ könnte – die „Selektion“ begann…
Die ersten beiden Tickets wurden an Jingles, eine schwarze Labimixhündin und an Chambs, eine Golden Retriever Hündin vergeben.
Ticket 3 und 4 war unser Weihnachtsgeschenk für Hope, eine Hündin, unter deren Dreckkruste wir einen Golden Retriever Mischling vermuteten und für Karlchen, ein Labimixrüde mit wunderschönem Bollerkopf.
Eigentlich waren unsere Tickets damit aufgebraucht. Zwar standen auf unserer Liste noch einige Notfallpflegeplätzchen, aber alle „nur“ für Hündinnen… Wirklich alle? Nein, eine "Notfall-Rüdenstelle" gab es noch in Süddeutschland. Wir also noch einmal los, hoch zu der Dreiergruppe Labradorrüden, die wir vorher schon gesehen hatten. Erneut hatten wir „die Qual der Wahl“. Nach einigen Überlegungen bekam Morrison, einer der beiden hellen Rüden, das 5. Ticket. Er war das schwächste Glied in der Gruppe, wurde von den beiden anderen Rüden heftig gemobbt und brauchte unsere Hilfe am dringendsten. Damit waren wir voll - die Autos wurden geladen, wir waren startbereit.
Im Rücken, direkt am Ausgang, verfolgte ein sehnsüchtiger Blick das Geschehen... Nicht mehr zurückschauen, dachten wir, das halten wir sonst nicht aus. Und dann plötzlich die Bemerkung: Ja, der ist kastriert. Ein kastrierter Rüde? Wir schauten uns an: „Los holt die Liste wieder raus, da war doch irgendwo noch ein Plätzchen für einen kastrierten Rüden.“ Und tatsächlich: Neben einer „Notfallpflegestelle“ stand: Hündin oder kastrierter Rüde... Und so bekam der Labimixrüde Phönix wirklich in letzter Sekunde das 6. Ticket für den Weihnachtsexpress von „Retriever und Freunde“.
Sechs Tickets konnten wir vergeben. Sechs Hunde aus dieser Hölle befreien. So glücklich wir darüber waren, so traurig und aufgewühlt waren wir zugleich, dass wir so viele andere in diesen Zuständen und in der Hoffnungslosigkeit zurücklassen mussten. Wir fühlten es alle: Ihre Blicke werden uns noch lange verfolgen...
Am 19.12.09 erreichten uns die ersten, erschreckenden Fotos. Obwohl sie – wie wir später selbst feststellen konnten – nur einen winzigen Bruchteil der Verhältnisse vor Ort zeigten, waren wir erschüttert. In einer ehemaligen Grenzkaserne und dem dazugehörigen Gelände, so unsere zunächst dürftigen Informationen, leben etwa 100 Hunde unter katastrophalen Bedingungen. Auf dem Gelände gibt es keinen Strom und keine Heizung. Wasser wird normalerweise mit einer Pumpe in das Gebäude gebracht. Diese war jedoch vor Weihnachten kaputt gegangen, die verbliebenen Wasserbehälter ob des Kälteeinbruchs gefroren. Es mangelt an allem, was notwendig ist: Baumaterial, Futter, Geld für Medikamente, für Kastrationen, für eine tierärztliche Versorgung oder für Reparaturen.
Einige Hunde auf den Fotos sahen aus wie Retriever oder Retrievermixe. Uns stockte der Atem, die Gedanken fingen an sich zu drehen. Können wir so kurz vor Weihnachten noch irgendetwas tun? Können wir Hilfe anbieten, wie können wir überhaupt helfen? Besteht irgendeine Chance, dass wir wenigstens 1,2 oder 3 Hunde rausholen – haben wir denn noch Pflegestellen frei? Fragen über Fragen, die zwischen Vorstand und Team hin und her gewälzt wurden. Viel Zeit, sie zu beantworten blieb nicht – war aber auch nicht nötig. Innerhalb einer Stunde war klar: Die Weihnachtsvorbereitungen des Vorstands und der Teamler werden notgedrungen warten müssen. Für uns alle war unvorstellbar, jetzt noch an Weihnachten zu denken, wenn wir nicht wenigstens vorher versuchen würden, alles in Bewegung zu setzen, um zumindest einigen dieser Hunde zu helfen.
Mit den wenigen Bildern, die wir hatten, starteten wir am 20. Dezember im Forum die Notfallvorschau. Was dann binnen zweier Tage geschah, grenzte an ein Wunder: Pflegekörbchen wurden aufgestellt, Notpflegestellen meldeten sich, Spendenzusagen und Fahrkettenangebote gingen ein. Am 23. Dezember war es soweit: Unsere erste Vorsitzende und zwei Teamler machten sich auf den Weg – im Gepäck neben einer Futterspende eine Liste mit potentiellen Pflegestellen. Wir fuhren ins Ungewisse, aber wir fuhren. Nach wie vor war unklar, welche Hunde dort auf uns warten, in welchem physischen wie psychischen Zustand sie sein werden, ob wir sie überhaupt werden mitnehmen können. Nach mehreren Stunden Anfahrt betraten wir gemeinsam mit unseren beiden Vereinsmitgliedern vor Ort das Gelände. Uns bot sich ein Bild des Schreckens...
Auf dem Gnadenhof „leben“, neben den etwa 100 Hunde, einige Pferde und Ponys, Ziegen und Katzen – und dies unter katastrophalen Bedingungen. Zwei Etagen der alten Grenzkaserne sind der „Hauptlebensraum“ der Hunde. In Rudeln „bewohnen“ sie deren Zimmer und Gänge. Die Fenster des Gebäudes sind zum Teil eingeschlagen und wurden mit Brettern vernagelt, um ihnen wenigstens einen minimalen Schutz vor der Kälte zu geben. Dennoch pfeift der Winde „durch alle Löcher“. Zudem sind die Hunde dadurch gezwungen, ihr Leben die meiste Zeit im Halbdunklen zu fristen. Nach hinten hinaus wurden Stege aus den Fenstern gebaut, damit sie ins Freie können. Kleine Freigehege schließen sich an, andere befinden sich auf weiteren Geländeteilen. Sie sind mit alten Paletten, gestückelten Drahtzäunen und halb verrotteten Brettern abgeteilt, viele ohne ausreichendem Unterschlupf, der Boden unbefestigt, reiner Schlamm. Dazwischen unzählige Knochenreste von den Schlachtabfällen, mit denen die Hunde gefüttert werden – Spenden, die 2x die Woche von Schlachtern aus der Gegend abgeholt werden.
Da standen wir: Sprachlos, mit unseren Emotionen kämpfend, unfähig, die auf uns einstürzenden Eindrücke auch nur annähernd fassen zu können. In der Hand hielten wir unsere Liste potentieller Pflegestellen. Binnen Minuten wurde uns klar: Vor uns liegt eine schwere Aufgabe – die, zu entscheiden, wer mit uns fahren darf und wer bleiben muss. Langsam gingen wir von Freigehege zu Freigehege, beobachteten die Reaktionen und das Verhalten der Hunde so gut es ging, verglichen das Gesehene mit den möglichen Pflegestellen, wägten ab, ob es „passen“ könnte – die „Selektion“ begann…
Die ersten beiden Tickets wurden an Jingles, eine schwarze Labimixhündin und an Chambs, eine Golden Retriever Hündin vergeben.
Ticket 3 und 4 war unser Weihnachtsgeschenk für Hope, eine Hündin, unter deren Dreckkruste wir einen Golden Retriever Mischling vermuteten und für Karlchen, ein Labimixrüde mit wunderschönem Bollerkopf.
Eigentlich waren unsere Tickets damit aufgebraucht. Zwar standen auf unserer Liste noch einige Notfallpflegeplätzchen, aber alle „nur“ für Hündinnen… Wirklich alle? Nein, eine "Notfall-Rüdenstelle" gab es noch in Süddeutschland. Wir also noch einmal los, hoch zu der Dreiergruppe Labradorrüden, die wir vorher schon gesehen hatten. Erneut hatten wir „die Qual der Wahl“. Nach einigen Überlegungen bekam Morrison, einer der beiden hellen Rüden, das 5. Ticket. Er war das schwächste Glied in der Gruppe, wurde von den beiden anderen Rüden heftig gemobbt und brauchte unsere Hilfe am dringendsten. Damit waren wir voll - die Autos wurden geladen, wir waren startbereit.
Im Rücken, direkt am Ausgang, verfolgte ein sehnsüchtiger Blick das Geschehen... Nicht mehr zurückschauen, dachten wir, das halten wir sonst nicht aus. Und dann plötzlich die Bemerkung: Ja, der ist kastriert. Ein kastrierter Rüde? Wir schauten uns an: „Los holt die Liste wieder raus, da war doch irgendwo noch ein Plätzchen für einen kastrierten Rüden.“ Und tatsächlich: Neben einer „Notfallpflegestelle“ stand: Hündin oder kastrierter Rüde... Und so bekam der Labimixrüde Phönix wirklich in letzter Sekunde das 6. Ticket für den Weihnachtsexpress von „Retriever und Freunde“.
Sechs Tickets konnten wir vergeben. Sechs Hunde aus dieser Hölle befreien. So glücklich wir darüber waren, so traurig und aufgewühlt waren wir zugleich, dass wir so viele andere in diesen Zuständen und in der Hoffnungslosigkeit zurücklassen mussten. Wir fühlten es alle: Ihre Blicke werden uns noch lange verfolgen...
copyright© Text und Fotos: Anina Mischau